Malgruppe | Blick aus dem Fenster

Gestern Abend, in der Malgruppe, entstand diese kleine Aquarellskizze – ein direkter Blick aus dem Atelierfenster in die Landschaft. Wir begannen, als der Tag noch nicht ganz dunkel war. Der frühe Abendhimmel lag weich über den Feldern, und genau diese Stimmung wollte ich einfangen. Die Ruhe, die sich zwischen Arbeitszeit und Heimkehr ausbreitet, das leise Abschirmen des Lichts durch Baumkronen und die Fachwerkdächer.

Ich setzte mich ans Fenster, nahm Pinsel, Papierblock und die wenigen Farben, die ich an diesem Abend brauchte. Es ging nicht um Perfektion, sondern um das Einfangen eines Augenblicks. Die Skizze ist eine Momentaufnahme. Alte Fachwerkhäuser reihen sich am Rand der Anhöhe, davor ein schmaler Weg, der vom Vordergrund in die Tiefe führt, und dazwischen ein kleines Geäst aus Bäumen und Hecken, die den Raum rhythmisieren. Die Komposition ist einfach, beinahe freundlich. Links ein dichter niedergelegter Baumsaum, rechts Reihen von kleineren Bäumen, die eine grüne Fläche wie ein Teppich formen.

Farblich habe ich mich an den Eindrücken des Spätnachmittags orientiert. Der Himmel ist ein kühles, blasses Ultramarinblau mit einem Hauch von Payne’s Grey, nicht zu satt, eher anschmiegsam an den Horizont. Direkt darunter rollt ein bandartiger Streifen aus gleißendem Gelb und gedämpftem Lindgrün – die letzten Sonnenfelder, die noch Licht aufnehmen. Die Fachwerkhäuser tragen warmes Dachrot, ein leicht verbranntes Ziegelrot, das ich mit etwas Ocker gemischt habe. Die Wände sind im Aquarell nur angedeutet, ein sehr helles Grau und gebrochener Weißton, damit die Dächer stärker wirken. Die Balken des Fachwerks habe ich mit einem warmen Umbra skizziert, um die Struktur zu betonen, ohne zu viel Detail zu geben.

Der Weg im Vordergrund ist eine Mischung aus Erdbraun und angedeutetem Grau, eine schlanke Spur, die den Blick führt. Ich habe ihn bewusst schmal gelassen, damit die Bäume im Vordergrund Raum bekommen. Die Bäume selbst tragen verschiedene Grüntöne. Ein sattes Laubgrün für die hellen Flächen, dazu Oliv und ein wenig Hooker’s Green in den Schattenpartien. An einigen Stellen setzte ich Tupfer aus Gelb und sogar einem kleinen Stich Korallenrot, um einzelne Blätter und Lichtreflexe sichtbar zu machen. Für die Baumstämme und Äste nahm ich ein warmes Braun mit leichtem Rotanteil. Das verleiht den Stämmen Freundlichkeit und passt zum Dachrot im Hintergrund.

Die Technik ist spontan: schnelle Lasuren, punktuelle Tupfer und einige gezielt gezogene Linien. Bei Aquarellskizzen liebe ich die Kombination aus Durchschein und sichtbarer Pinselspur. Dort, wo das Blatt noch sehr hell bleibt, habe ich kaum Farbe aufgetragen, so dass das Papierweiß als Lichtraum wirkt. In den Baumkronen dagegen schichtete ich dünne Lasuren übereinander, bis die fühlbare Textur entstand. Die kleinen Grüntöne ergeben zusammen eine lebendige Fläche, ohne dass jede einzelne Blattform exakt ausgearbeitet wäre – es soll eher die Gesamthektik eines Oktoberabends spürbar werden.

Während ich arbeitete, veränderte sich das Licht; die Farben wurden leiser, und ich passte meine Lasuren an. Das fühlt sich an wie ein Dialog, die Landschaft antwortet auf jeden Pinselstrich. Die kleinen Fehler – eine unruhige Linie am Rand, ein zu dunkler Tupfer – nehme ich bewusst in Kauf. Sie gehören zum Prozess, sie sind Spuren des Abends, wie die Fußabdrücke auf einem sandigen Weg.

Besonders gefällt mir die Balance zwischen Nähe und Ferne in dieser Skizze. Der Vordergrund mit seinen Bäumen wirkt greifbar, man kann sich vorstellen, den Weg zu betreten. Das Dorf mit den Fachwerkhäusern bleibt zurückhaltend, fast wie Erinnerungen am Horizont, und darüber liegt dieser frühe Abendhimmel, der alles zusammenhält. Farblich entsteht ein sanfter Kontrast zwischen dem warmen Rot der Dächer und dem kühlen Blau des Himmels, während das Grün die verbindende Mitte bildet.

Solche Stunden in der Malgruppe sind für mich kleine Auszeiten. Wir sitzen nebeneinander, jede mit ihrem Blatt, und doch sind wir verbunden durch das gleiche Licht und die gleiche Luft. Am Ende des Abends bleibt die Skizze als Erinnerung an eine Stimmung, nicht ein perfektes Bild. Ich trinke gern danach eine Tasse Tee, betrachte das Blatt und nehme die Farben innerlich mit nach Hause.

Wenn du das Motiv für dich nehmen möchtest: achte auf die warmen Dachrot‑Akzente und finde ein Oliv‑ oder Lindgrün als verbindenden Ton. Lass das Papierweiß dort leuchten, wo das Abendlicht am stärksten war, und setze Schatten nicht mit reinem Schwarz, sondern lieber mit einer Mischung aus Blau und Braun. So bleibt die Palette freundlich und stimmt mit der Stimmung des Abends überein.

Herzliche Malgrüße
Roswitha

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